Eine kurze Vorstellung von ALLES ÜBER RUTH – UND SEITDEM
(Timo Brandt auf dem Signal-Kanal Lyrikrezensionen/ @lyristix)
Baff bei Crauss, wiederholt, immer wieder, über die Szenerien, die Atmo. Man spürt den Wind, sieht die Lichter, riecht die Gewässer und den Schweiß, hört Rufe und Schweigen (Musikfetzen oder Flüstern?), schmeckt die metallenen Bügel, an denen die Sehnsucht baumelt, trocknet, verstrickt – die Orte, zwischen denen sie pendelt, denn man ist hier und doch dort, mitten im Seitenweiß, wie auf einem Sprungbrett: über allem, doch so gut wie mittendrin, zögernd und zitternd.
Der vorgestellte Band ist in Teilen eine Wiederauflage von “Crausstrophobie: Texte & ReMixes” und “Alles über Ruth” (2001 bzw. 2004), enthält aber auch einige neue Texte. Lang und breit (was hier leider beides nicht geht) könnte man sich über die Referenzialität, die Bezüge und Hommagen, den “Sound” und die “Tracks” dieser Gedichte auslassen; wen dergleichen interessiert, der*die wird im Netz ein paar Rezensionen und Fingerzeige finden. Auch Lesebeispiele und Nachwort werden Aufschluss geben.
Gelobt wird Crauss Poesie für ihren Sound, die Musikalität der Texte; auch da reicht wohl ein Blick auf die Beispiele in den Fotos, um zu verstehen, was gemeint ist. Wie Musikstücke haben Crauss Gedichte oft einen (an)treibenden Faktor (man könnte ihn Beat nennen, Puls, Rhythmus, etc.); sie schwingen sich auf, zugleich kann man sich darin verlieren; sie vereinen Drang mit dem Moment des Innehaltens, der Annäherung an den Limes. Halb sind die einzelnen Verse Leiter, halb (Ab)Hang der Träumerei.
Manchmal höre ich die ersten Takte eines Liedes und schon falle ich kurz in eine andere Lebenszeit zurück; eine zweite (alte? jüngere? ältere?) Haut, mit ihren Empfindungen, legt sich über meine, schnürt und weitet mich kurz. Ein Zustand entsteht, in dem Vertrautes und Fremdes aufeinanderprallt wie Atome im Teilchenbeschleuniger. Was entsteht? Eine Singularität? Eher eine Verbundenheit, verweht. Auch darum geht es.