Vollanalog statt digital – Crauss in der SZ über Methoden, alive zu bleiben

Ein Artikel von Jana Albrecht. Hier Wiedergegeben als Belegexemplar.

Poetry Slam: Dead or Alive?!

Siegen. Die virtuellen Möglichkeiten einer Kulturszene in diesen Tagen

jca ■  Ein wenig vergessen und still wirkt das Kulturhaus Lÿz an diesem Novembersonntag. Hier sollte jetzt eigentlich der traditionelle Siegener Poetry-Slam stattfinden. Ein vielfältiges Publikum und ebenso vielfältige Slampoeten aus ganz Deutschland sollten hier in ausgelassener Abendstimmung Kultur genießen.

Sollten … Eigentlich … Aber das Kulturhaus bleibt dunkel, und um die Slampoeten des Landes scheint sich eine leise Stille zu legen. Die Kreativität Kunstschaffender steht ein weiteres Mal in diesem Jahr auf dem Prüfstand. Eine der wenigen Möglichkeiten, auch im zweiten Lockdown „alive“ zu bleiben, ist die Nische der Virtualisierung, durch die über Podcasts und Livestreams ein wenig Normalität in die Wohnzimmer der Menschen gebracht werden kann.

Mit dem Projekt „Support Your Local Artists“ und dem „Virtuellen Hut“ bieten Sebastian Zimmermann, Dirk Hartmann und Martin Horne seit April eine Livestreaming-Plattform für Künstler. Zimmermann sieht im „Virtuellen Hut“ eine willkommene Alternative, die auch unabhängig von Corona in Zukunft Bestand haben könnte. Viele Künstler hätten sich am Anfang zwar schwer getan, in einem leeren Raum mit der Kamera anstelle eines Livepublikums zu interagieren, das Livestreamen sei aber inzwischen ein Stück neue Normalität geworden und bei vielen Artisten und Künstlern mittlerweile routiniert, so Zimmermann im Gespräch mit der SZ.

Um Künstlern nicht nur einen Raum für die Performance zu bieten, sondern sowohl ihnen als auch den Technikern hinter der Kulisse finanziell eine kleine Unterstützung zukommen zu lassen, können z. T. während des Livestreams Spenden über einen Paypal-Button abgegeben werden.

Einen großen Vorteil eines virtuellen Kunstraumes sieht der Mitbegründer des „Virtuellen Huts“ vor allem in der Barrierefreiheit: „Für Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung nicht ins Theater gehen können, stellt das Livestreamen eine willkommene Alternative dar“, berichtet Zimmermann.

Um „verlorene Nähe“ in Zeiten der Krise wiederzugewinnen, hat sich auch das Bruchwerk-Theater Siegen eine Alternative erdacht und bietet mit einer „Hybriden Livestream-Reihe“ zum Thema Nahaufnahme und mit der Leserunde „Stück für Stück“ in entspannter Atmosphäre ein Onlineformat, das Menschen sich trotz Social Distancing nahe sein lässt. Trotz kreativer Ideen und virtueller Räume vermissen Künstler und Slampoeten die Interaktion mit dem Publikum und hoffen auf die Möglichkeit, bald wieder in einem direkten Kontakt mit diesem auftreten zu können.

Die Kunst- und Kulturszene hat geprüfte und sehr gute Corona-Maßnahmen entwickelt, in die sie bereits viel Geld gesteckt hat.

Tobias Beitzel, überregional bekannter Slampoet aus Bad Berleburg, betrachtet die Beständigkeit virtueller Alternativen mit Skepsis und verbannt auch das Thema Corona aus seinen Texten: „Die Leute haben genug von dem Thema, da muss ich das nicht auch noch in meinen Texten verarbeiten.“ Die Winterzeit während des zweiten Lockdowns nutzt Beitzel vor allem dazu, sein neues Programm „Dorfkind“ voranzutreiben, in der Hoffnung, im Frühjahr damit an den Start gehen zu können.

Beitzel, der mit seinem Sommerabend-Programm, einem Mix aus Poetry-Slam, Singer-Songwriter-Slam und Comedy in Picknickatmosphäre mit überzeugendem Hygienekonzept, eine spannende Alternative zu den virtuellen Angeboten erarbeitete, wünscht sich im Rahmen des staatlichen Appells „Veranstaltungen meiden“ mehr Differenzierung zwischen Privatfeiern und kulturellem Programm. Als Veranstalter betont Beitzel seine Verantwortung, die er gegenüber seinem Publikum hat: „Die Kunst- und Kulturszene hat geprüfte und sehr gute Corona-Maßnahmen entwickelt, in die sie bereits viel Geld gesteckt hat.“ Der momentane zweite Lockdown bedeute für viele seiner Kollegen ein Abrutschen in die Sozialhilfe: „Corona wird eine große Lücke in der Kulturlandschaft hinterlassen“, so Beitzel abschließend beim Gespräch im Innenhof des Oberen Schlosses, dem Ort, an dem noch ein sanftes Rauschen vergangener Poetry-Slam-Veranstaltungen zu verspüren ist.

Ein wenig Optimismus in die Stille bringt Crauss (www.crauss.de), lokaler [tatsächlich: übernational agierender!] Gegenwartspoet, Dozent für kreatives und biographisches Schreiben und Kulturpädagoge. Beim Treffen mit obligatorischer Maske und dem gebotenen Abstand beginnt das Gespräch am Siegufer über sein Projekt: gesprochene Lieder, Videoclip-Ästhetik und eine „vollanaloge“ Perspektive anstelle einer beständigen Virtualisierung „leiser Gedichte“. Trotz eines Plädierens für vollanaloge Seminare und Lesungen greift auch Crauss in heutigen Zeiten auf Online-Alternativen zurück, um „alive“ zu bleiben. So bot er beispielsweise im vergangenen Frühjahr Webinare an in der Reihe „Selbst-Versuche“ des Hauses für Poesie Berlin sowie einen Schreibworkshop über das Online-Portal des Bruchwerk-Theaters. Doch auch Crauss fehlt das direkte Interagieren bei Live-Lesungen und -Workshops, und die Ungewissheit über das Stattfinden geplanter Veranstaltungen bringt ihn, wie viele andere Künstler, zum Nachdenken. Die Buchvorstellung seines neuen Bandes „Blackbox“, einer dreisprachigen Lyriksammlung auf Englisch, Deutsch und Mazedonisch, hätte bereits im November bei der Biennale für zeitgenössische Künste „SlovoKult::LiterARTur::2020“ stattfinden sollen und wurde aufgrund der Pandemie auf den 21. bis 23. Dezember verlegt. Ob seine Lesung zur „Schönheit des Wassers“ in Netphen am 14. Januar 2021 live stattfinden kann, bleibt ebenfalls noch unklar.

Was ist mit und vor allem was wird nun aus unseren Künstlern, Schriftstellern, Musikern und Slampoeten? Leise nutzen sie Nischen, um „alive“ zu bleiben und in „Stille“ auf eine altbewährte, normale Nähe zu ihrem Publikum hoffen zu dürfen. Leise, um an einem Morgen in der Zukunft aus der virtuellen Isolation zurück auf die Bühne treten zu können und in der Interaktion mit ihrem Publikum wieder laut zu sein, denn: „Ohne Kunst und Kultur wird’s still.“

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Vollanalog statt digital – Crauss in der SZ über Methoden, alive zu bleiben

Nicht verpassen: Lesung und Workshop mit Crauss.

DISKO LÜGT, oder: DER SEKT SCHMECKT NUR, WENN ER PRICKELT

Mittwoch, 09.09.2020 um 19:00 Uhr in der Buchhandlung BÜCHER BUY EVA
Markt 5, 57271 Hilchenbach

Die Lesungen, die Crauss in der heimischen Region hält, sind rar. Der Dichter und Kulturpädagoge ist mit seiner Poesie im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs. 2019 hat er zahlreiche private Wohnzimmer mit Gedichten und Geschichten versorgt und sich bei dieser Lesetour selbstverständlich neue Inspiration geholt.

Mit DISKO LÜGT bringt er nun selten gehörte Prosatexte nach Hilchenbach. Denn neben erotischen Kurzgedichten und Liebeslyrik aus seiner Poesieschachtel BUNTE SOCKEN TRAGEN sollen hier endlich einmal wieder Geschichten über die Jugend, das Verliebtsein und das ewige Prickeln in den Lenden zu Wort kommen. Ist es peinlicher, eine romantische Message zu erhalten oder selbst auf Senden zu tippen? Und wieviele Zeichen braucht es, um wirklich alles zu sagen? Vom MOTORRADHELD bis zum SCHUNDFAKTOR ist alles dabei.

Am 12.09.2020 von 14:00 bis 16:00 Uhr findet dann im Museum für Gegenwartskunst Siegen ein Schreibworkshop statt:

Beim Wortwolken-Gewitter passend zum derzeitigen Museums-Thema können alle Interessierten ab 10 Jahre ohne Voraussetzung teilnehmen.

Im Mini-Workshop führt Crauss auf spielerische Weise in unterhaltsame Methoden ein, Texte zu erfinden und zu gestalten. Wir schauen in den Himmel: Wortwolken, Schäfchenwolken, Kumulusmücken, Schwärme von Luftfetzen.

Herzliche Einladung, Hauptsache heiter!

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Nicht verpassen: Lesung und Workshop mit Crauss.

KulturFlecken-Weg: Vogelhaus-Lyrik von Crauss

Passend zu Crauss Waldweg-Installation EIN HÄUSCHEN IM GRÜNEN stellt der Freudenberger KulturFlecken Silberstern e.V. auf seinem Youtube-Kanal ein Audio mit Texten zur Verfügung, die auch vor Ort über einen QR-Code abzurufen sind.

In jedem der Vogelhäuschen findet man mindestens zwei unterschiedliche Texte: Durchs Guckloch (vergittert, damit nichts Unpoetisches drin nistet) kann man ein Waldgedicht lesen, aus der Schublade lässt sich ein weiteres für die Wanderung oder als Postkartengruss entnehmen.

Das Erklär-Video unten zeigt, wie’s geht.

1) zielstrebig dem wald zu 2) landschaft in spe (swirling loneliness version) 3) schonzeit (swirling pastoral mists)
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KulturFlecken-Weg: Vogelhaus-Lyrik von Crauss

KulturFlecken-Weg: Kunst im Wald – und EIN HÄUSCHEN IM GRÜNEN

Es gibt ab sofort einen schönen neuen Ausflugstipp fürs Siegerland: Rund um den Kern des historischen Fachwerkstädtchens Freudenberg verläuft ab 16.08.2020 der etwa 6,5 km lange KulturFlecken-Weg, den verschiedene Künstler* mit ihren Werken bereichert haben. Neben namhaften Kunstschaffenden wie Silke Krah, Andrea Freiberg, Bianca Torrado-Berner oder Herb Schwarz ist auch Crauss vertreten, und zwar mit einer Vogelhaus-Installation, die dem Wanderer ein kleines Textfutter mit auf den Weg gibt.

Mehr Infos zur Lage und Route des KulturFlecken-Wegs sowie zu den einzelnen Objekten gibts hier.
Wer direkt zu Crauss’ HÄUSCHEN IM GRÜNEN spazieren möchte, kann das mit folgenden Koordinaten: 50°54’07.5″N 7°51’08.9″E oder 50.902083, 7.852481

EIN HÄUSCHEN IM GRÜNEN, KulturFlecken-Wegpunkt Crauss-Installation


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KulturFlecken-Weg: Kunst im Wald – und EIN HÄUSCHEN IM GRÜNEN

Wiedergelesen: Otto Abt und das Lied der Flöte.

Worte aus der StilleOtto Abt und das Lied der Flöte – Eine Streitschrift fürs Positive

Schreibaufgabe: 17 Silben, 3 Zeilen, 5-7-5. Wer glaubt, kurze Gedichte seien auch schnell geschrieben, irrt! Beinah ein Jahr hat der vom Niederrhein stammende Wahlsiegener Otto Abt gebraucht, bis er die etwa siebzig Haiku zusammen hatte. Herausgekommen ist eine Art Stundenbuch, verziert mit Geweben, Halterungen für die zarten Wortgespinste. Das Haiku ist eine alte japanische Gedichtart, ehemals gesungener Prolog zur Oper, auch Bildkunst, formschön hingepinselt, im Lauf der Jahrhunderte selbständig geworden. Immer geht es darin um eine Mensch-Natur-Betrachtung, beim Zwillingsbruder, dem Senryu führt die Reflektion vom Ich ins Allgemeine.

Nun ist es nicht einfach, eine Kunst, die so sehr an die asiatische Kalligraphie gebunden ist, ins Europäische zu übertragen, zum Beispiel mit Zeilensprüngen. Otto Abt hat eine Hand dafür. Hat immer schon diese Art der „Kleinkunst“ gemocht, hat ein asketisches Werk verfasst, für das man sich Zeit nehmen muss, auch wenn mans in einer Viertelstunde runterlesen könnte. Aber dann hätte man nichts verstanden. Die Kurzgedichte, die allesamt das Leben und Erleben des Dichters wie den Jahreskreis beschreiben, muss man zwischen Aug und Zunge zergehen lassen wie ein Haute Cuisine Gericht. Da hat man auch nicht den Teller voll. Wie einen guten Wein:

Das Rot der Rose
glüht dunkel wie schwerer Wein,
durchtränkt von Liebe.

Alles ist im Fluss, es gibt keinen Index, keine Kapitel, die die „Worte der Stille“ unterteilen, die Jahreszeiten gehen ineinander über, auf Dunkelheit folgt Wachstum, jugendliche Lebenslust:

Finsternis krallt sich
an mich, will mich verschlingen.
Mein Schrei stürzt in die Nacht.

Der Bambus biegt sich
im Sturm und erhebt sich stolz
im Licht der Sonne.

Und einem so engagierten Autor und Musiker wie Otto Abt, der sich mit Spenden und Aktion für Tsunami-Opfer engagiert, der Indonesiens mythische Geschichten einem deutschen Ohr verständlich zu machen versteht, der einen nach einem schweren Arbeitstag mit Tai Chi und Gamelan-Glocken in höhere, leichtere Sphären zu versetzen vermag — einem Mann, den 74 Lebensjahre nur äusserlich verwittern konnten, steht eine solch jugendliche Kraft gut zu Gesicht:

Herzschlag der Nacht; ich
ahne das All unter der
Decke aus Sternen.

Otto AbtDas ist ein Liebesgedicht! Eine Umarmung, die Abt nicht scheut. Gabi Bosch, Graphikerin, Freundin und Kupferstecherin liess sich gern umarmen und umgarnt zurück mit bunten Pinselstrichen, hellen Aquarellformen und Tropfmarkierungen, die sie sich extra fürs Buch der stillen Worte einfallen liess. Jedes Gedicht liegt in einem Nest aus getupften Wolken, grün, blau, lila. Vieles erinnert dabei an japanische Bau- und Schreibweisen, ist schlicht und einfach und schön anzusehn. Bild und Text unterstützen sich gegenseitig, ohne einander Inspiration zu rauben.

Beim Flug durch die Nacht
entdeck ich tief unter mir
ein einsames Licht.

Bei allem Poetischen: es handelt sich hier um ein sehr bodenständiges Buch, um nichts Verschwiemeltes und Aufgeschwulstes, wie man es oft bei Schreibern findet, die sich an Haiku heranwagen. Eine Streitschrift fürs Positive, ein Stundenbuch in Siegengrün.

Otto Abt: „Worte aus der Stille. Haiku/ Senryu.“ durchblick buchreihe, durchblick-siegen medien 2005

 

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Wiedergelesen: Otto Abt und das Lied der Flöte.

NEULICH IM SCHRANK: CSD-Lesung in Siegen

csd-lesungKali Drische lebt mit ihrem Stammhirn (*1968, Berlin) zusammen. Weil beide schreiben, gibt es manchmal Streit um den Computer. Was dann herauskommt sind tragikomische Geschichten über “Körper, Sex und andere Widrigkeiten”. Anna Hetzer (*1986, Berlin) geht mit ihren Gedichten einen Schritt weiter und sucht “prasselnde Punkte” im Strandbad: Küsse sind bei ihr erotische Zungenbrecher. Crauss schließlich (*1971, Siegen) versucht mit Texten wie “Big black Bone” oder der Gerätebeschreibung “Fuccordeon bump fix 3000” einen Spagat zwischen den Sirenen der Liebe.

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NEULICH IM SCHRANK: CSD-Lesung in Siegen

Erst Workshop im GEGENWARTSMUSEUM, dann Lesung im frei:RAUM

mundvoll lesung

Die Idee, mehreren Sinnen gleichzeitig zu schmeicheln, ist nicht neu – sondern bewährt. Crauss bringt Gedichte und kurze Prosa aus seinen Werken mit, etwa »Schnaps und Schinken« aus dem Essaybuch SCHUNDFAKTOR oder »Reissnägelgulasch« aus seinem erfolgreichsten Gedichtband LAKRITZVERGIFTUNG. Aber keine Bange! Zu Essen gibt’s ganz Ungefährliches aus Kartoffeln, beispielsweise Reibekuchen und Suppe. Dazu legt der Antiquar Armin Nassauer thematisch passende Schellackplatten auf und bietet georgischen Wein zur Verkostung und zum Kauf an. Bitte die frühe Uhrzeit (18:30) beachten!

Und vorher am gleichen Tag: Schreibworkshop POLKE POLKA mit Crauss im Museum für Gegenwartskunst Siegen, 13:30-16:30

Inspiration kommt nie aus einer Quelle allein. Wir entdecken, was die aktuelle Ausstellung uns eingibt: z.B. lassen die Bechers ihr Fachwerk Fachwerk sein und machen Urlaub an Sigmar Polkes Pixelstrand … Bilder, Objekte und Texte mischen und verbinden sich unter der bewährten Anleitung des Dichters Crauss, über den ein Redakteur sagte, er schreibt “Erlebnislyrik zwischen rauschhaft erzählten, synästhetischen Episoden und meditativen Bild- und Sprachkonzentraten.” Am Workshop kann jeder ohne besondere Voraussetzung teilnehmen. Gefragt sind bloß Neugier und Experimentierfreude. Beitrag: 19/15 Euro.

museumsworkshop

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Erst Workshop im GEGENWARTSMUSEUM, dann Lesung im frei:RAUM

HEIMAT

HEIMAT


Der Begriff der Heimat war stets ein sehr deutscher – in anderen Sprachen gibt es das Wort nicht – und es war oft ein schwieriger. Was soll das sein, Heimat? Mit zunehmender realer und virtueller Globalisierung findet eine neue Suche nach Heimat statt. Ein Sprichwort sagt: Heimat ist da, wo du dich nicht erklären musst. Die Abkehr von der Provinz kann ein lebenslanger Motor sein, die Flucht aus der Heimat ist für Viele heute traurige Notwendigkeit, die Einführung eines Ministeriums, das den Heimatbegriff mit Staat und Volk gleichsetzt, hilft da nicht unbedingt weiter.

Fest steht: Heimat hat nichts zu tun mit Idylle.

Ganz gleich, ob wir unser Dorf Schabbach oder Vormwald nennen – wir erkennen unsere Heimat oft nicht wieder, wenn uns das Fernweh gepackt hat und wir erst nach Jahren aus der Welt zurückkehren. Der Filmemacher Edgar Reitz hat sich ein halbes Leben lang mit der Sehnsucht der Weggeher und den Nöten der Daheimgebliebenen beschäftigt. Er hat gefunden, dass wir die Heimat in unserem Herzen mit uns tragen, egal wie fern wir fliehen.
Im dreiteiligen HEIMAT-Epos (Die Handlung geht von 1919 bis 1999) zeigt Reitz, dass sich an einem Dorf das Geschick der gesamten Nation widerzuspiegeln vermag.

Crauss erzählt die Geschichten von Maria Simon – die stets genauso alt wie das Jahrhundert war – und ihres Sohnes, dessen erste Liebe aus dem Dorf verjagt wird und der seiner Heimat den Rücken kehrt mit dem Schwur, nie wiederzukehren.

Dem ca. einstündigen Vortrag folgt die Vorführung der ersten HEIMAT-Episode: “Fernweh” spielt 1919 bis 1928 und dauert zwei Stunden.

Im Frühjahr und Herbst 2019 folgen dann weitere HEIMAT-Episoden in Kinoformat im Waldlandhaus. Wer daran Interesse hat, ist eingeladen, dies auch vorab schon per Mail an crauss[at]crauss[.]com oder am 25.11.2018 auf einer Interessentenliste zu bekunden. Eintritt 5,00 Euro

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HEIMAT

Sommerklangspiele mit Otto Abt und Gästen

Mittwoch, 06.09.2017 um 19:30 Uhr
SOMMERKLANGSPIELE

OTTO ABT & CRAUSS LESEN HAIKU UND ANDERE GEDICHTE AUS DER NACHBARSCHAFT
Engsbachstr. 83, 57076 Siegen | Der Eintritt ist frei|willig

Eine Veranstaltung mit Seltenheitswert. Denn einerseits – und obwohl er fast jedes Jahr ein Haiku-Buch veröffentlicht – liest Otto Abt recht selten vor Publikum. Zum anderen ertönt das Siegener Gamelanorchester höchst selten öffentlich.

Stillstehen – davon “handeln” viele der Kurzgedichte Otto Abts – bedeutet ja keinesfalls Stillstand. Es sagt: Innehalten, Schauen, Lauschen: schon tropft ein Gamelan-Ton in den anderen, strömt ins All und findet im Offenen Heimat, Geborgenheit also, Einfügung. Dies ist, was Abts Gedichte vermögen: durch eine dezente Reihung uns loszuschicken auf eine Gedankenreise, uns aber im unsicheren Augenblick wissen zu lassen, dass wir nicht alleine sind auf der Wanderung.

Otto Abt und Crauss mit seinem Lyrikband SCHÖNHEIT DES WASSERS lesen an diesem Abend Gedichte aus der Nachbarschaft und vom Ende des Sommers. Unterstützt werden sie von Armin Nassauer, der passend Schellack-Platten auflegt.

Wer mag, ist herzlich eingeladen, eigene Texte mitzubringen
und in den Pausen vorzutragen. Keine Scheu! Da die Veranstaltung in den Privaträumen des Gastgebers stattfindet und um die Anzahl der Besucher abschätzen zu können, wird eine kurze Anmeldung unter 0271-75700 oder crauss@crauss.com erbeten.

Der Durchblick bringt im September einen  Artikel über Otto Abts Gedichte:


Otto Abt, Sommerklangspiele

 

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Sommerklangspiele mit Otto Abt und Gästen

Crauss liest …

Schneider in der parasitenpresseBastian Schneider: Irgendwo, jemand.

Die Kölner Parasitenpresse veröffentlicht seit 17 Jahren deutschsprachige Lyrik als altpapiergeheftete Bücher und Lyrik-Taschenbücher aus BeNeLux und Südamerika.
Einer der konzentriertesten Bände ist der vor kurzem erschienene Doppelzyklus Irgendwo, jemand des in Siegen geborenen Bastian Schneider. Die Gedichte nähern sich dem großen Thema dieser Zeit: Flucht und Migration, und wie wir uns dazu verhalten, wie wir darüber reden und was wir unterlassen zu tun. Die Texte sind der Versuch, eine Sprache zu finden angesichts einer globalen Herausforderung, der man bisher nur unzureichend gerecht geworden ist.

An einer Hauswand steht // Zugvögel raus / irgendwo sind Menschen auf der Fahrbahn / das Mittelmeer ist eines der kleinsten Weltmeere / jemand spricht von sicheren Staaten / Menschen und Zugvögel kann man verwechseln, manchmal (…)

Bastian Schneider: Irgendwo, jemand. Gedichte, 14 S., 6,- € (Lyrikreihe Bd. 38)

 

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Crauss liest …

erwarte nicht viel mehr als menschen

kiel im gedichtWalter Arnold hat mehr als 60 gedichte über kiel zusammengetragen. bekannte dichter der letzten jahrhunderte (Fontane, Liliencron, Groth) kommen in zu wort. aber auch junge talente*, die bis heute ihre lyrik vortragen und veröffentlichen (Arne Rautenberg, Björn Högsdal, Marcel Beyer, ögyr). der hübsche kleine band zeigt, wie vielfältig kiel immer war und bis heute ist. obgleich als hässlich verschrien: es wird andere qualitäten haben.
Crauss ist mit einer kurzen, traurigen skizze dabei, die man auf ögyrs schwungkunst, nämlich im klavki fundus nachhören kann. der 2009 verstorbene dichter klavki hielt die welt für “ein ewiges gedicht” und kämpfte bis zum letzten atemzug für mehr poesie in den menschen.

*diese formulierung des verlags kommt leider einer diskriminierung der arbeit der genannten dichter sehr nahe, die sämtlich – und zwar seit jahrzehnten, und zwar weit – über den status des hobby-talents sich hinausentwickelt haben! typischer lokalpressen-sprech. so etwas möchte ich jedenfalls nie wieder auf mich selbst bezogen wissen.

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erwarte nicht viel mehr als menschen

ick kieke, staune, wundre mir …

berlinerische gedichteberliner eck / kneipe, wo du schief anjesehn wirst wennde dein notizzbuch zückst … schreibt Crauss in seinem beitrag zur gerade erschienenen anthologie “berlinerischer gedichte von 1830 bis heute”: jibbter’n trinkjeld, isser nich von hier

über vierhundertsechzig seiten gedichte haben Thilo Bock, Wilfried Ihrig und Ulrich Janetzki für die andere bibliothek zusammengetragen.
neben den Glaßbrenners, Fontanes, Böttichers, Klabunds und Kerrs sind ua. dabei einige Wawerzineks, Papenfüße, Tschirpkes, und Endlers.

Crauss’ berliner eck stammt ursprünglich übrigens aus der LAKRITZVERGIFTUNG, die als fleissiger dauerseller bereits mitten in der zweiten auflage juicy transversions bietet.

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ick kieke, staune, wundre mir …

Crauss & Nassauer mit Loops und Klängen beim Kunstwechsel 2016

Kunstwechsel 2016

Crauss und Armin Nassauer beteiligen sich am diesjährigen Kunstwechsel mit Klangcollagen: Service-Loops, Glockenläuten, Live-Textperformances und Schallplattenimprovisationen sind vom 02. bis 04. Dezember neben Bildwerken der Kollegen und Kolleginnen in der 3. Etage des Sieg-Karrée in Krönchentown-City zu bestaunen und wertzuschätzen. Der Eingang zum Event ist auf dem Bahnhofsplatz zwischen WDR und Zara.
Alles über das Programm, die Zeiten und Beteiligten verrät die Website der Organisatoren: die Gruppe 3/55 engagiert sich seit Jahren für Kultur in Siegen. Danke dafür!

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Crauss & Nassauer mit Loops und Klängen beim Kunstwechsel 2016

Stillstehen, nicht Stillstand. Otto Abts neuer Haiku-Band

Otto Abt, schwester natur

Otto Abts neuer Gedichtband in Haiku und Senryu ist ein Jahreskreis ähnlich dem Film Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-duk: Die Jahreszeiten kommen und gehen, ohne dass man den eigentlichen Wechsel sieht. Man spürt die Veränderung des Wetters, nur selten ein helleres, ein schärferes Licht, ein hervorstechender Ton, der angeschlagen wird.

Das Meditative der Gedichte von Schwester Natur läuft dabei in keinem Moment Gefahr, ins rein Esoterische abzugleiten. Denn einerseits werden konkrete Bauwerke (»Dom zu Massa«), Anlässe (»Ostern in Java«) und Situationen genannt, andererseits verhindern die Haiku und Senryu eine schwelgerische Beliebigkeit oft durch konkrete Anweisungen an den Leser, wie er sich Bilder zu denken hat; nicht nur schön, als reine Oberfläche, als getupfte Aussicht, sondern als auch innerhalb der unterschiedlichen Jahreszeiten ähnlich wiederkehrende Entwicklung oder Handlungsanweisung.

Kulturkreise und kulturelle Erfahrungen des Autors wie des Lesers vermischen und ergänzen sich: was beispielsweise »die alte Linde« (S. 14) nicht vermag, weil sie am Brunnen vor dem Tore fest verankert, in der Heimat verwurzelt ist, lehrt uns die »Buddha-Statue« (S. 7) durch ihr stoisches Blicken ins Weite: das körperliche Stillstehen, das Schweigen auszuhalten, mit ihm umzugehen. Denn Stillstehen bedeutet ja keinesfalls Stillstand. Es sagt: Innehalten, Schauen, Lauschen: schon tropft ein Gamelan-Ton in den anderen (S. 8), strömt ins All und findet im Offenen Heimat, Geborgenheit also, Einfügung.

Dies ist, was Otto Abts Gedichte vermögen: durch eine dezente Reihung uns loszuschicken auf eine nicht immer rein angenehme Gedankenreise, uns aber im unsicheren Augenblick wissen zu lassen, dass wir nicht allein sind auf der Wanderung.

Wem das zu schlicht ist, der überlege, ob er sich Zeit genug gelassen hat. So manches Wort hält eine doppelte Bedeutung bereit – beispielsweise beim Farbmosaik der »Berghänge im Herbstgewand«. »Fest vor dem Abschied« sagt: es ist ein prächtiger, eben festlicher Anblick, die Berge sind aber gleichzeitig starr, erstarrt, tun nichts gegen den Abschied etc. Auch der blaue Himmel ist nicht einfach strahlend und wolkenlos – er ist leer. Er fordert uns auf.

Otto Abt: Schwester Natur mit einem Nachwort von Crauss ist im Buchhandel erhältlich (ISBN 978 3 7412 1189 8) oder über Crauss.

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Stillstehen, nicht Stillstand. Otto Abts neuer Haiku-Band

Crauss über das Phänomen Poetry Slam

2014 schrieb Alexander Minor, damals Schüler eines Siegener Gymnasiums, eine Facharbeit über Das Phänomen des Poetry Slams im Vergleich mit traditioneller Lyrik unter dem Aspekt der literarischen Reaktion auf technische Entwicklung. Jetzt soll die Facharbeit im Grin-Verlag veröffentlicht werden; aus Anlass dessen ist hier das Interview wiedergegeben, das Alexander Minor als Quelle für die Arbeit mit Crauss geführt hat.

Üben Sie einen Beruf aus, der etwas mit POETRY SLAM, traditioneller Lyrik oder sogar Beidem zu tun hat?

 Ich bin selbst Dichter, schreibe Lyrik und kurze Prosa, trage meine Texte auch bei Veranstaltungen (Dichterlesungen) vor oder präsentiere sie ähnlich wie bei einem Poetry Slam auf eine performative Weise.

Kann man POETRY SLAM wie Lyrik als eigene Gattung bezeichnen? Warum?

Nein. Poetry Slams sind keine Text-, sondern eine Darbietungsform. Mindestens müsste man unterscheiden zwischen Poetry Slam als Veranstaltung und Poetry Slam-Texten als eventuell eigene Gattung. Aber auch in dieser Hinsicht würde ich die Frage verneinen. Bei Slams werden keine homogenen Textgattungen präsentiert, sondern sehr unterschiedliche Formen. Welche insbesondere, hängt sehr vom Veranstaltungsort ab: In Aachen beispielsweise legt das Publikum vor allem Wert auf humoristisches, beim Slam in Heidelberg kommen dagegen neben Comedy-Texten durchaus ernsthafte Geschichten und sehr leise, fragile Gedichte zur Geltung. Überhaupt wird ja auf Slam-Bühnen meist beides angeboten: Gedichte, Lieder ohne Begleitung, Geschichten.

Haben Sie Erfahrungen mit POETRY SLAM gemacht? Wenn ja, welche? Sind Sie aktiv oder passiv in der Szene unterwegs?

 Ich bin einige Zeit lang selbst bei Poetry Slams aufgetreten, etwa im Subrosa in Dortmund, wo das Publikum nicht nur durch KlaTraditionelle Lyrikchen oder Noten über die Texte abgestimmt hat, sondern auch Bierdeckel auf die Bühne warf, wenn der Vortragende seine Darbietung besser beenden sollte. Ich schreibe zwar auch humorige oder satirische Texte, fand aber irgendwann meine Sachen nicht mehr passend für immer mehr Richtung Comedy einerseits und Weltschmerz-Rap andererseits tendierende Slams. Erst nach langer Pause und auf Einladung des Rundfunks bin ich 2011 wieder einmal bei einem Poetry Slam aufgetreten. In Siegen habe ich gelegentlich Olaf n. Schwanke, den Moderator des Slams vertreten, bin aber außer in den Anfangstagen der hiesigen Veranstaltung nie dort aufgetreten.

Haben Sie sich schon mal mit POETRY SLAM auseinandergesetzt? Wenn ja, wie?

Die Frage ist ein bisschen ungenau. ich habe mich (siehe oben) schon praktisch mit Poetry Slams (Veranstaltung) auseinandergesetzt; mit Slam-Texten setze ich mich als Hörer auseinander, wenn ich im Publikum sitze. Als Leser eher nicht, da ich finde, dass die meisten Slam-Texte an Qualität verlieren, wenn man sie liest (oder umgekehrt: Viele Slam-Texte eignen sich fast ausschließlich für den Vortrag und haben kaum literarische Qualität). Eine mir bekannte Ausnahme ist Toby Hoffmann[1], dessen Texte sehr politisch sind und auch bei der Lektüre nicht an formaler Ästhetik verlieren, da sie nicht an einem sehr typischen Poetry Slam-Duktus festhalten, wie ihn etwa Bas Böttcher pflegt.

Haben Sie sich schon mal mit Traditioneller Lyrik auseinandergesetzt? Wenn ja, wie?

Mein Beruf als Schriftsteller bringt das mit sich. Wer schreibt, sollte auch viel lesen. Beim Dichten (und das gilt ebenso fürs Slam-Texte schreiben) bewege ich mich nicht in einem Vakuum, sondern stets auf der Basis von allem, was vor mir gedichtet wurde. Ob ich es sehr bewusst mache oder nicht, meine Texte stehen immer in Beziehung zu vorhergehenden Schreibern. Ich lese viel zeitgenössische Literatur, Gedichte und Prosa von noch lebenden Autoren, aber auch Lyrik[2], zum Beispiel von Benn bis (in der Zeitrechnung rückwärts laufend) Oswald von Wolkenstein.

Können Sie einen Vergleich zwischen POETRY SLAM und traditioneller Lyrik wagen?

 Wie soll dieser Vergleich aussehen? Eine Unterscheidung qualitativer Art etwa? Dann kann man sagen, dass die Qualität sehr vieler Poetry Slam Texte nicht über den Vortrag und das Ende der Veranstaltung hinausreicht, dass aber auch Goethe viel Schrott produziert hat.

Würden Sie POETRY SLAM als Phänomen bezeichnen? Warum?

Poetry Slam ist sicher ein Massenphänomen und zieht viele eher jüngere Menschen an, die sich sonst vielleicht nicht mit Literatur oder lyrischen Texten beschäftigen. Oft genug geht die große Anziehungskraft von Poetry Slams aber zum Nachteil sonstiger literarischer Veranstaltungen, indem einerseits Leute Poetry Slams für die einzige Form von Literatur halten, andererseits Institutionen und Städte ‚normale‘ Autorenlesungen kaum noch fördern, weil eben weniger Publikum kommt und dadurch auch weniger Geld in die Kassen. Poetry Slams oder entsprechende Texte sind allerdings längst kein Phänomen mehr im Hinblick auf die Neuartigkeit der Veranstaltungsart. Das war vielleicht Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre mal innovativ als es von den USA nach Deutschland  kam, hat sich aber doch heute alles etabliert und eingespielt.

Ist die Oralität das Besondere am POETRY SLAM? Macht sie den Reiz aus? Ist sie revolutionär in der Geschichte / etwas Neuartiges?

Selbstverständlich leben Poetry Slams vom Mündlichen und von der Interaktion mit dem Publikum, oft auch von einer guten Moderation wie erwähnt. Die meisten der dargebotenen Texte lassen stark nach, wenn man sie liest. Revolutionär ist aber an der Oralität rein gar nichts, wenn man bedenkt, dass bis mindestens zum Mittelalter die meisten Texte nicht aufgeschrieben oder leise für sich gelesen, sondern laut und öffentlich vorgetragen und auch entsprechend konzipiert wurden. Im Grunde sind Poetry Slams also etwas uraltes im neuen Gewand.

Kann man bei traditioneller Lyrik auch von einer Performance reden? Wie würden Sie ihre Performance ausdrücken?

Wieso sollte man ein Goethe-Gedicht, etwa den Erlkönig, nicht genauso wirkungsvoll auf die Bühne bringen wie beispielsweise einen Poetry Slam Text. Viele kürzere, eher unbekanntere Märchen der Brüder Grimm (z.B. „Wie die Kinder das Schlachten lernten“) sind viel effektvoller als ein paar aktuelle Zeilen über Akne, Eltern im Wohnwagen oder den eigenen Pimmel (was Andy Strauss so schreibt…). Performance hat aber eigentlich nicht automatisch etwas zu tun mit Lautstärke und Effekthascherei. Bei einem gut komponierten Gedicht kann es eher darauf ankommen, es genau vorzutragen und akzentuiert in dem Sinne, dass Mehrdeutigkeiten auch unabhängig vom Schriftbild hörbar werden.

Stellt die Performance einen gravierenden Unterschied zwischen POETRY SLAM und traditioneller Lyrik dar?

Nein. Wenn ich einen Textvortrag höre, will ich etwas stimmiges, d.h.: Zum Text passendes oder aus dem Text sich konsequent ergebendes hören, ganz egal ob es sich dabei um einen Slam-Text oder ein Rilke-Gedicht handelt.

Kann man Texte wie Lyrik unter dem Aspekt bestimmter Motive untersuchen?

Ist das eine rhetorische Frage oder vom Deutschlehrer vorgegeben? Selbstverständlich lassen sich alle jemals veröffentlichten Texte / Gedichte unter dem Aspekt bestimmter Motive untersuchen. Es gibt ganze Lexika, die Stoffe / Motive der (Welt)Literatur veranschaulichen, also etwa zeigen, wo und wann das Motiv der Rose oder des Waldes in der Literatur jemals vorgekommen ist. Ich halte es sogar für eine sehr natürliche Frage, sich beim Dichten zu überlegen, wo ist mein jetziges Thema bereits einmal behandelt worden (das muss auch gar nicht so wahnsinnig lang her sein). Durch eine Ähnlichkeit oder gerade durch die Abwandlung eines alten Motivs ergeben sich reizvolle Aspekte für beide Texte: mein aktuelles Gedicht und den ‚Vorgänger’ oder ‚Parallel-Läufer‘.   Wahrscheinlich wird jemand aus Holland ganz anders über die Rose oder die Tulpe schreiben als ich in Deutschland.

Kann man POETRY SLAM als die Lyrik der Moderne bezeichnen?

 Nein. Erstens, weil „POETRY SLAM“ und zweitens weil „Moderne“ nicht genauer definiert sind. Selbst wenn man „POETRY SLAM“ als eigene Gattung nimmt, muss man immer noch in Betracht ziehen, dass Slam-Texte sowohl lyrisch als auch Prosa sein können. Die „Moderne“ als Epoche ist längst vorbei; in der Literatur hat sie eine Zeit des Umbruchs zwischen 1890 und 1920 bezeichnet. Mindestens muss man „Moderne“ durch „zeitgenössisch“ ersetzen, eventuell durch „Post- oder Nachmoderne“, aber auch das sind problematische Begriffe.

Glauben Sie, Literatur kann auf bestimmte z.B. gesellschaftliche Verhältnisse reagieren?

 Literatur reagiert immer auf gesellschaftliche Verhältnisse, nämlich bildet sie im Klein-sten ab, wie ich die Welt, meine gesellschaftliche Umgebung, sehe. Literatur ist Weltwahrnehmung. Auch im Größeren funktioniert das. Nach 9/11 hat es viele Geschichten und Gedichte gegeben, die sich mit dem Ereignis beschäftigten. Zeitgenössische israelische Lyrik beispielsweise beschäftigt sich sehr mit den politischen Verhältnissen im nahen Osten und so weiter. Eher skeptisch bin ich bei der Frage danach, ob Literatur auch (politisch/ gesellschaftlich) etwas bewegen kann, also nicht nur reagiert, sondern neue Prozesse in Gang setzt.

Stellt die technische Entwicklung ein großes Motiv der TL dar / findet man in ihr Reaktionen darauf?

 Ja, sofern man sich auf die Epoche der modernen Literatur bezieht, aber auch vorher und erst recht nachher findet man Reaktionen auf technische Entwicklungen in der Lyrik als auch in anderen Text- und Kunstgattungen. Viele Dichter reagierten auf die Entwicklung des Films und der Photographie, indem sie versuchten, ähnliche Ästhetiken (Bildaufbau, Schnitte) in ihren Texten umzusetzen. Rolf Dieter Brinkmann in den 1970er Jahren oder die Beat-Poeten der 60er arbeiteten stark mit einer Schnitttechnik (cut up), um die immer fragmentarischere Wahrnehmung der Welt darzustellen.

Die hohe Geschwindigkeit heutiger technischer Entwicklung steht außer Frage. Ist die Gesellschaft dennoch immer noch oder gerade heute von der technischen Entwicklung bewegt oder beeinflusst?

Die Gesellschaft bewegt sich natürlich sofort in die Läden oder ans Internet, wenn man ihr einen neuen Happen hinhält und behauptet, damit funktioniere die Welt noch besser. In Wirklichkeit können die neuesten Telefone ja alles mögliche, bloß kaum noch telefonieren. Ich glaube, die Wirkung neuer Entwicklungen ist immer noch in der Gesellschaft spürbar, sie hält aber nicht mehr so lange an wie früher. Manchmal kommen auch totgesagte Techniken zurück: Die Produktion von Vinyl-Schallplatten hat wieder enorm zugenommen und ist, wenn ich recht erinnere, höher als etwa Ende der 1980er Jahre. Auch die Literatur reagiert nicht mehr auf jeden neuen Firlefanz. Anfang der 2000er Jahre gab es zum Beispiel eine Rückbesinnung auf Naturlyrik (die allerdings teils versuchte, technische Dinge so zu beschreiben wie Natürliche und umgekehrt); einer ihrer prominenten und wichtigen Vertreter war und ist der Dichter Ron Winkler. Ich würde sagen: Die Techniken und die zugehörige Sprache ändern sich, Themen und Motive eher nicht.

Und zum Schluss: Könnte man die beiden Gattungen auch unter anderen Aspekten untersuchen und vergleichen?

 Vorsicht: Bei der Frage wird schon wieder vorausgesetzt, Poetry Slam sei tatsächlich eine eigene Gattung! Vielleicht wäre eine Untersuchung interessant, die sich einmal die Mühe macht zu hören, wie traditionelle Lyrik im Vergleich zu Slam-Texten gesprochen/ performt wird. Also nicht Text-formal, oder höchstens über Abhängigkeiten zwischen der geschriebenen Form und wie man sie akustisch umsetzt. Eine weitere Möglichkeit wäre, über das Alter der Schreibenden zu sprechen. Die meisten Slammer sind sehr jung, allerdings wurden viele bekannte traditionelle Gedichte ebenfalls von sehr jungen Dichtern verfasst: Novalis war 28, Trakl 27, Büchner bloß 23 als sie starben.

 

[1]             http://hoffmannpoetry.com/

[2]             Dass ich nicht immer explizit Lyrik sage, sondern Literatur allgemein oder Texte hat damit zu   tun, dass die Gattungen bei Zeitgenössischen Autoren oft fließend ineinander übergehen und  selbst bei vielen modernen und klassischen Autoren nicht unterschieden werden können. Was Dichter früher z.B. als Lied geschrieben haben, lesen wir heute als Gedicht – will man genau  sein, ist das aber schon ein Gattungsunterschied.

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Crauss über das Phänomen Poetry Slam