schrift bild aktion am 20.08.15 in siegens bedürfnisanstalt
der mobile kunstraum badstrasse außer haus freut sich am 20.08. ab 19:30 uhr auf Mara Genschel und Peter Strickmann: text- und klang in der bedürfnisanstalt obergraben/ siegen.
Peter Strickmann nimmt mit “rumkugel” klanghandlungen vor und spricht mit Mara Genschel, die als lyrikerin sehr stark an der dehnung des literaturbegriffs interessiert ist und in siegen das langzeitprojekt eines „lebend-zyklus“ weiterentwickeln wird.
gemeinsam mit zwei biologen der belgischen arbeitsgruppe bletter IGZ aus dem umfeld des koninklijk belgisch instituut voor natuuwetenschappen verwandelt sie hierzu ausgewählte räume der
bedürfnisanstalt in ein live-labor. in einem ähnlichen projekt in kassel ist es bereits gelungen, eine rattenart, die mit der in südostasien beheimateten, wasserliebenden sunda-riesenratte verwandt ist, experimentell in einem galerieraum anzusiedeln und zu beheimaten.
in siegen wird Mara Genschel versuchen, mehrere aggressive pilzarten (kreuzungen aus aspergillus, neorospora, chaetomium-kolonien etc.) zu entwickeln. die ansiedelung beginnt am tag der eröffnung. die klimatischen bedingungen in den ausstellungsräumen sind nahezu optimal, gerade auch aufgrund der hitzeperiode der vergangenen wochen und der hohen luftfeuchtigkeit innerhalb der ehemaligen toilettenanlage.
der “veranstalter, der Mara Genschel einlädt, […] weiss nie genau ob ihr auftritt auch für ihn gänzlich gut geht. wenn es schiefgeht (aber auch, wenn es scheinbar gut geht) ist nie ganz klar, ob eine provokation intendiert war. […] so kann es vorkommen, dass eine veranstalterin vergrätzt zurückbleibt, obwohl das publikum angeregt folgte”, schreibt Bertram Reinecke in Mara Genschel Material /
Crauss findet …
dass marvellous-photos eine grössere resonanz brauchen. mit einem solchen hausphotographen hat Crauss “gute chancen auf den autor mit den besten autorenfotos in diesem jahrhundert”, findet auch Norbert Lange.
Crauss liest …
wie Bettina Strang MASKENPAUSE macht und sich im watt wundert.
“ICH LIEBE ROTHAARIGE”
… rief Silke übermütig. “mein ganzes leben besteht aus roten haaren!”
mich erreicht eine werbemail* zu Rita Königs im herbst erscheinenden romandebut rot ist schön. Silke ist fünfzehn, ihre familie zerbricht, die mauer fällt, nichts mehr hat bestand. genauso liebt Silke: in rothaarigen liebhabern sucht sie ihre familie, und der verlag weiss, wie man leserinnen fängt:
- identitätsroman
- ddr ohne ostalgie
- für Saša-Stanišic-leser
ich komme ins grübeln: Crausslyrik – für Konstantin-Ames-leser? oder doch besser: für Jan-Wagner-ermattete? was die roten haare angeht, halt ich es jedenfalls mit Heine:
am alten turme/ der rote bursche/ dem dichter wild sang:/ bleib bei mir, ich küss dich/
*nicht gemeint ist hier gemeine spam!
fonky silence siegen
zufall oder bedeutung, dass ich mir zur neuen lektüre über die stadt, die stets als grau und trostlos verschrien wird und deren bewohnern es seit je an selbstbewusstsein mangelt, aus meiner lesezeichensammlung ausgerechnet fonky silence herausgreife? 1963/64, als stadt auf eisernem grund erschien, war die stimmung jedenfalls noch positiv und auch der öpnv, über den ich persönlich mich in siegen mit am meisten ärgere, wurde gelobt: “drei omnibusbahnsteige bilden den bahnhof für den vorzüglich [!] ausgebauten nahverkehr, der siegen mit seiner näheren und weiteren umgebung verbindet.”
über die verkehrsbetriebe und die spezies busfahrer werde ich mich sicher an anderer stelle weiter ärgern, lasse mich aber zunächst gern unvoreingenommen auf einen rundgang durch die stadt mitnehmen, aus der berühmte leute wie der kartograph Tilmann Stella stammen oder Wieland, der ganz in der nähe schwerter und pokale für den zauberer Merlin schmiedete. immerhin!*
bedürfnis wie wolken
bedürfnis wie wolken
meine generationsnichte sagt ich sei garkein junge
hölderlin stress am frühen morgen
und diese ameisenspur die ich einfach nicht wieder
hölderlin stress und die spur die ich nicht finde
als sei es eine krankheit gewesen
als sei ich ein knabe als sei ich ein mädchen gewesen und fisch
(„oh tod!“)
der warm aus den wassern emporschnellt ich finde die spur
die stelle nicht wieder zwischen den dissonanzen der küste
(„like clouds wrap around the hours“)
eine weisse eine blasse lustfrau
(hutfrau)
clarissa sopran ein
säumiger dünenjunge
rötliches überauge geläut
als sei es nicht ich den ich finde
als sei es der sommer und bleichmorgen
(„oh tod!“)
ein strand voller erdbeeren der kopfschmerzen macht
verfrüht meldet sich unruhe an und geläut
extrem reduzierte akkorde
(und dunkel) ein ganz schwaches amtszeichen
clarissa sopran
als sei ich ein knabe ein mädchen gewesen ein
säumiger dünenjunge
eine weisse eine blasse lustfrau
(hutfrau) die meldet du seiest vermisst
und diese ameisenspur die ich einfach die landstrasse die erdbeern
die wälder des mimas
(kiefern aus stahl) verstellungen dissonanzen der küste
zwei segel die spur
achtung: nachahmer!
warnung vor vermeintlich originalen Craussbüchern
erst jetzt und per zufall entdeckt: Crauss‘ 2004er gedichtband ALLES ÜBER RUTH wurde offenbar schon vor längerer zeit schlecht gecovert und erschien in der
sogenannten schneider-buch „fan-serie“ als bootleg unter dem titel ALLES ÜBER UDO.
während im einzigen und alleinigen original zwar „körperlich fühlbare texte voll sommer, sonne und sex“ angekündigt, diese jedoch als anspruchsvolle lyrische
märchen und mythen inszeniert werden, die „erotisch in der brust pochen,“ behandelt das nachahmerbuch in schäbig-investigativen rubriken wie sag die wahrheit, Udo! und Udo von A bis Z unappetitliche themen über Udos geheimen lebenswandel. „die abende verbrachte er im hot-club,“ wo er „meistens
nicht mal das nötige kleingeld für eine tasse kaffee in der tasche hatte.”
freimütig bekennt der von 1964 bis 1989 mit einem photomodell verheiratete [anti]held: „mädchen sind eine versuchung. wenn ich irgendwo ein schönes mädchen sehe, muss ich mich nach ihm umdrehen.“ später heisst es weiter: „zwei dinge tut Udo nachts besonders gern“ – aber das wollen wir lieber nicht so genau aus einem werk erfahren, in dem für ein kapitel mit dem titel moral nicht mehr als gerade ein einziger satz verwendet wird, das thema nacktheit aber breiten raum erhält.
„manchmal klingelt es plötzlich an seiner haustür und eine hübsche versuchung steht davor und sagt: ich nehme mir das leben, wenn du mich nicht küsst! vor
solche entscheidungen gestellt, kennt Udo nur eins: er rettet dem mädchen das leben.“
offenbar konnte Holger T.* aus siegen, der seinen namen mutmaszlich auch auf andere schmutztitelkästchen des verlags gemalt hat („dieses schneider-buch gehört…“) den besitz eines solchen machwerks nicht länger ertragen und entschloss sich nach jahrelangen gewissensbissen endlich, das „buch“ in einer givebox in der innenstadt abzugeben.
sollte euch eine ähnliche, mehr oder weniger plumpe fälschung (auch anderer Crauss-veröffentlichungen) auffallen, so bittet der autor um nachricht mit bild oder um zusendung des entsprechenden werks. im letztgenannten fall wird die nachahmung durch ein original ersetzt!
ansonsten gibt es ALLES ÜBER RUTH selbstverständlich weiterhin in jeder guten buchhandlung oder direkt beim verfasser. fragt nach dem original!
*vollständige adresse ist der redaktion bekannt
kugel erde: im eschgarten hängt almut
im eschgarten hängt almut
kugel erde
in ostia landet ein flugzeug
im eschgarten hängt almut
die wäsche ans band.
die boote im munde
des tiber erinnern an fettaugen.
in kattowitz ist mittag
und gleichzeitig sommer. aber
die autobahn hat einen riss –
da nämlich herrscht winter.
bei rom werden die wol-
ken gekappt.
ein münchner
sprichwort sagt: die schatten
des elefanten sind grösser
als der elefant ist. sogar die kühe
verheisst das ortsschild von hölching
trinken hier bier.
schau nach auf sieben grad ost
und nord neunundvierzig.
es macht einen unterschied
ob du woppenroth sagst
oder heimat denn alles dort
hat sich ereignet und nichts
wie es erzählt wird.
bei tölz ladet der hitlerberg
ein zum wandern im everest
schlagen yetis grad schneeengel.
im eschgarten hängt almut
die wäsche ans band.
die boote nordöstlich
von amsterdam
sind hundertmal eins.
der ganderkessee schimmert
zensurgrau und delm
wie über queenstown der gleitschirm.
überm baldeneysee schwebt
eine boeing auf düsseldorf zu.
du kannst die ganze welt absuchen.
zwischen hof und plauen ist stau
in der feuerwehrschule frohnau
hat ein passat die trambahn gerammt.
und almut hängt immernoch
wäsche ans band…
aus: LAKRITZVERGIFTUNG. juicy transversions. verlagshaus j. frank, berlin 2011
kugel erde: die welt ist eine suchmaschine
man weiss ja, dass die bekannteste aller suchmaschinen gerne algorythmen einsetzt, die das leben smarter machen sollen. und man weiss auch, dass dabei nicht nur personenbezogene werbung und verstrickung herauskommt, sondern oft genug einfach nur quatsch. und manchmal auch lustiger quatsch, wie z.b. als ich vor einiger zeit* den dichter Linus Westheuser kugelte. ich wusste, ich würde ihm begegnen und wollte mich darauf vorbereiten, weil ich mir manchmal dämlich vorkomme, wenn ich leuten gegenüberstehe und nicht weiss, wer sie sind. die suchmaschine wusste aber offenbar auch (noch) nicht so genau, wer Linus Westheuser sein sollte und spuckte folgende kombination aus:
mittlerweile dürfte einigermaszen bekannt sein, dass der kollege 2014 seinen ersten gedichtband gefeiert hat. den rest kann man sich leicht zusammensuchen.
Crauss liegt …
Crauss findet …
Crauss liest …
ABWÄRTS #9. zweiter jahrgang der zeitschrift im basisdruck verlag, juli 2015
Jan Kuhlbrodt schreibt in “die neue lyrik” über das “einhäkeln von bäumen und fahrbahnbegrenzungen, das in den letzten jahren in mode gekommen ist. die ästhetik der berliner republik also, die sich mehr und mehr in vermeintlichen oder wirklichen belanglosigkeiten gefällt.”
daneben gibts einen spannenden essay von Florian Neuner und unterwegs-miniaturen von Ronald Galenza.
autoPSI
-1- nachschauen, was in einem steckt und die angst, nichts zu finden. das ist der förderkorb, der die literatur antreibt seit jahrhunderten, tausenden. tausenden ist es bereits gelungen, nichts zu finden. mir nicht. immer habe ich etwas gefunden und war enttäuscht, weils am ende so mickrig aussah. die anderen haben gegraben und gegraben, bis ihnen die hände bluteten, haben alles mögliche zutage befördert, aber nie das, wonach sie ihr lebenlang gesucht haben. ganz grossartige dichter sind sie geworden darüber. sie haben sich selbst etwas vorgemacht, und ihr publikum hat es gesehen. sie haben ihren himmlischen körper aufgeschlitzt, den leuten die gedärme hingehalten, und die leute haben gegessen, bis sie platzten. das herzstück kam zwischen all dem gekröse aber nie zum vorschein. autoPSI heisst, sich selbst etwas vorzumachen. das O und das E zu sehen, obwohl es gar nicht da ist. autoPTIK ist die lehre vom versuch, sich etwas vorzumachen.
-2- es gibt dichter, die können wunderbar erklären, was sie mit ihrer literatur wollen, oder zumindest mit einzelnen texten, ohne diese texte beim erklären zu beschädigen. ich gehöre nicht zu diesen dichtern. andere wiederum können sich ganz wunderbar mit werken der kollegen auseinandersetzen, ohne wiederum die kollegen zu beschädigen. nicht ich.
-3- kategorisierung ist aber ein menschliches bedürfnis. wenn man menschliche bedürfnisse nicht befriedigt, hat man ganz schnell die revolte im wohnzimmer. alte menschen können schon aus purem trotz inkontinent sein; das sollte man wissen, bevor man der grossmutter den wein verweigert. darum also klipp und klar: die literatur, die ich schreibe, setzt sich auseinander mit rhythmus, sex und grossen — städten. ein für mich typisches gedicht müsste etwa folgendermaszen lauten:
alles wird gut
das licht wird zuviel, und doch bleibt es
dunkel. an die küsten getrieben sind
glashäuter und schaumwesen: man
lernt nicht mehr laufen, wenn apo
kalyptischer mittsommer herrscht!
aus der luft ergeben sich schwärme
kosmischer spiegelflügler. die zugrouten
sind unterbrochen durch das vergehen
der welt. am ende triumphieren ho
rizontlösende nebel; alles wird gut.
wir sind alle augenmenschen
LAKRITZVERGIFTUNG: die erste auflage ist ausverkauft!


heimat: geschichten über das fernweh
08.10.2015 | SIEGEN | 20:30
hackspace siegen, effertsufer 104
heimat: die mitte der welt
geschichten über das fernweh am beispiel von Edgar Reitz’ jahrhundertchronik
ganz gleich, ob wir unser dorf schabbach oder klafeld nennen – wir erkennen unsere heimat oft nicht wieder, wenn uns das fernweh gepackt hat und wir erst nach jahren aus der welt zurückkehren. der autor und filmemacher Edgar Reitz hat sich ein halbes leben lang mit der sehnsucht der weggeher und den nöten der daheimgebliebenen beschäftigt. und er hat gefunden, dass wir die heimat in unserem herzen mit uns tragen, egal wie fern wir fliehen. auch, wenn die abkehr von der provinz ein lebenslanger motor ist: im dreiteiligen HEIMAT-epos zeigt Reitz, dass sich an einem dorf und einer ländlichen region das schicksal der gesamten nation widerzuspiegeln vermag.
Crauss erzählt die geschichte von Maria Simon, die, geboren 1900, stets genauso alt wie das jahrhundert war – und den werdegang ihres sohnes Hermann, dessen erste liebe aus dem dorf verjagt wird und der seiner heimat selbst den rücken kehrt mit einem schwur, nie wiederzukommen. alles, was erzählt wird, hat sich wirklich ereignet – nichts hat sich so ereignet, wie es erzählt wird.
gefühls / erregungskunst
Friederike Mayröcker ist die königin der deutschsprachigen poesie. Erika Kronabitter hat ihr einen sammelband mit widmungsgedichten zum 90. geburtstag geschenkt. mit dabei sind ua. Malte Abraham, Dato Barbakadse, Theo Breuer, Nora Gomringer, Adrian Kasnitz, Swantje Lichtenstein, lemens Schittko, Matthias Schmidt, Verena Stauffer, Yoko Tawada, Joseph Wälzholz und Christel Fallenstein, ohne die in den letzten jahren kaum ein Mayröckerbuch gedruckt worden wäre.
Crauss hat sich mit zwei gedichten beteiligt, die 2016 auch in seinem neuen lyrikband nachzulesen sein werden:
atmen wie kohlenholen und deine gedichte (vocoding fm):
deine gedichte / sind mir ein grosser roman gefühls / erregungskunst oder zwischen eros und tod alles / was die brust des menschen durchzieht