russsischer zopf – und pflanzen rasen

Friederike Mayröcker und pflanzen rasen
Friedrike Mayröcker: und Pflanzen rasen … in: Die Hölderlin Ameisen. Vom Finden und Erfinden der Poesie. Hg. v. Manfred Enzensperger. Köln: DuMont 2005

Geschrieben hat Friederike Mayröcker dieses Gedicht am 23. und 24. Juni 2004. Das Craussgedicht, auf das sie sich bezieht, wurde in LAKRITZVERGIFTUNG  als auch in Mayröckers meine 25 lieblingsgedichte (styria verlag 2012) abgedruckt und ist hier nachzuhören (mp3).

russischer zopf / und dann im november

jemand schaut skeptisch auf deinen
kakau und geht pissen. ganz gelbe gestalten strömen
die stube vom trottoir her, der hüftknochige bube
kann kaum halten, was die schlingernden jeans dir
versprechen. zwei zimtwangen scheinens zu wissen,
an der wand strahlt egoïste in riesigen minuskeln,
blau, breit. betrunken sucht jemand nach platz. dann
maszloser regen. die sredzki, versunken, im arm einer
golden rushhour.

jemand nimmt sich was raus, rennt auf und davon
zur husemannstrasse, die russischen locken schon
nass. dann eine pause im müden geplätscher, die
stimmung ganz weich, die blase bloss voll. die eben noch
lachten, bestellen schnell neu. der durstige speit, dann
wird was frei (dein kakau beinah kalt). ein pärchen hält ein:
im fenster spiegelt der bratapfelrote schankstubensohn.
die abrechnung im stehn, das fazit beim heimweg – es ist
überall schön, nur hier ist es gleich.

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russsischer zopf – und pflanzen rasen

bedürfnis wie wolken

bedürfnis wie wolken
meine generationsnichte sagt ich sei garkein junge

hölderlin stress am frühen morgen
und diese ameisenspur die ich einfach nicht wieder
hölderlin stress und die spur die ich nicht finde
als sei es eine krankheit gewesen
als sei ich ein knabe als sei ich ein mädchen gewesen und fisch
(„oh tod!“)
der warm aus den wassern emporschnellt ich finde die spur
die stelle nicht wieder zwischen den dissonanzen der küste
(„like clouds wrap around the hours“)
eine weisse eine blasse lustfrau
(hutfrau)
clarissa sopran ein
säumiger dünenjunge
rötliches überauge geläut
als sei es nicht ich den ich finde
als sei es der sommer und bleichmorgen
(„oh tod!“)
ein strand voller erdbeeren der kopfschmerzen macht

 verfrüht meldet sich unruhe an und geläut
extrem reduzierte akkorde
(und dunkel) ein ganz schwaches amtszeichen
            clarissa sopran
als sei ich ein knabe ein mädchen gewesen ein
säumiger dünenjunge
eine weisse eine blasse lustfrau
(hutfrau) die meldet du seiest vermisst

 und diese ameisenspur die ich einfach die landstrasse die erdbeern
die wälder des mimas
(kiefern aus stahl) verstellungen dissonanzen der küste
zwei segel die spur

 

 

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bedürfnis wie wolken